Prozesserklärung der Angeklagten vom 08.02.2024

Die beiden Angeklagten, die den Rondenbarg-Prozess weiter fortsetzen und das Einstellungsangebot ablehnten, haben heute folgende Prozesserklärung im Gericht verlesen:

Wir haben uns entschieden, die von der Staatsanwaltschaft geforderten Auflagen abzulehnen. Seit sechseinhalb Jahren leben wir in Ungewissheit über den Ausgang des Verfahrens. Die Entscheidung ist uns nicht leicht gefallen: Für jeden von uns ist es eine Belastung hier vor Gericht zu stehen. Als Angeklagte stehen wir unter enormem Druck mit ernsten beruflichen, finanziellen und gesundheitlichen Einbußen. Für eine Mitangeklagte war sogar ihr Aufenthaltsstatus von dem Ausgang dieses Verfahrens abhängig. Manche von uns haben das Angebot deshalb notgedrungen angenommen. Wir alle kritisieren aber einheitlich die von der Staatsanwaltschaft geforderten Auflagen.

Im Kontext eines massiven Angriffs der Polizei auf die Demonstration am Rondenbarg, bei dem 14 Menschen ins Krankenhaus gebracht werden mussten, wird von uns eine „Distanzierung von Gewalt“ gefordert. Das ist aus unserer Sicht eine Täter-Opfer-Umkehr. Wieso sollen wir uns von etwas distanzieren, das uns überhaupt nicht vorgeworfen wird? Wir können das nicht anders lesen als ein Versuch der Staatsanwaltschaft, uns und die Proteste gegen die G20 zu stigmatisieren. Wann distanzieren sich die verantwortlichen Polizeibeamten? Wann die verantwortlichen Politiker*innen und die Stadt Hamburg für ihren Gipfel der Gewalt? Warum sollen wir Geld zahlen, wenn wir seit fast sieben Jahren unter dem Damoklesschwert dieses Prozesses stehen, jetzt alle zwei Wochen anreisen und die Kosten für unsere Verteidigung bezahlen müssen? Warum sollten manche als Teil des Angebots davon absehen, Entschädigung für die Untersuchungshaft zu fordern?

Bereits in den ersten Verhandlungstagen sind die zentralen Punkte der Anklage in sich zusammengefallen. Die vorsitzende Richterin bezeichnete es am ersten Prozesstag als „Wahnsinn“, das Vefahren in dieser Form überhaupt zu führen. Wir verstehen nicht, warum jetzt auch noch über Auflagen gestritten werden muss. Warum zieht die Staatsanwaltschaft das Verfahren in die Länge? Warum wird der Prozess nicht heute und ohne Auflagen eingestellt?

Wir sind uns der juristischen und politischen Bedeutung dieses Prozesses bewusst. Wir wissen, wie viele aktuelle und zukünftige Verfahren daran hängen und haben schon am ersten Prozesstag darauf hingewiesen, wie sehr die Versammlungsfreiheit durch dieses Verfahren bedroht ist. Jeder weitere Prozesstag wäre ein Tag zu viel: Allein die Möglichkeit ohne individuellen Tatvorwurf vor Gericht zu landen, kann schon heute abschrecken, überhaupt an Versammlungen teilzunehmen. Das Verfahren muss deshalb noch heute, und ohne Auflagen eingestellt werden.

Pressemitteilung von Grundrechte verteidigen: G20-Prozess geht weiter – Staatsanwaltschaft in der Defensive

Verhandlung wird heute um 9:30 Uhr fortgesetzt

  • Landgericht weist Großteil der Anklagepunkte zurück
  • Angeklagte kritisieren Auflagen der Staatsanwaltschaft
  • Prozess wird heute fortgesetzt, Angeklagte werden sich äußern

Der sogenannte Rondenbarg-Prozess gegen Teilnehmer*innen der G20-Proteste von 2017 begann am 18. Januar vor dem Hamburger Landgericht. Gleich zu Beginn wies die vorsitzende Richterin Sonja Boddin einen Großteil der Anklagepunkte zurück: Sie lehnte den Vergleich der Demonstration mit einem Hooligan-Aufmarsch – in Referenz auf ein BGH-Urteil von Mai 2017 – ab und erkannte an, dass es sich bei der Demonstration am Rondenbarg grundsätzlich um eine Versammlung im Sinne des Grundgesetzes handelte.

Infolgedessen bot die Hamburger Staatsanwaltschaft an, das Verfahren gegen eine Geldauflage und eine „Distanzierung von Gewalt“ einzustellen. Einheitlich kritisieren die Angeklagten die von der Staatsanwaltschaft geforderten Auflagen. Nach intensiven Gesprächen zwischen den Angeklagten und ihrer Verteidigung werden zwei Angeklagte den Prozess fortführen. Für eine Angeklagte ist der Aufenthaltsstatus vom Ausgang des Verfahrens abhängig, daher nimmt sie, sowie ein gesundheitlich beeinträchtigter weiterer Angeklagter, das Angebot an.

Das Verfahren bedroht das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Es sollen Einzelne, denen keine individuellen Straftaten vorgeworfen werden, kollektiv in Haftung genommen werden, wenn Demonstrationen unfriedlich verlaufen. Allein die Möglichkeit für die bloße Teilnahme an einer Demonstration vor Gericht zu landen, kann schon heute abschrecken, überhaupt an Versammlungen teilzunehmen. Gerade deswegen fordert die Initiative „Grundrechte Verteidigen!“ eine sofortige Einstellung des Verfahrens ohne Auflagen.

Die Verhandlung wird am 8. Februar um 9:30 Uhr und am 9. Februar um 9:00 Uhr am Hamburger Landgericht fortgesetzt.

Adrian Wedel, einer der Strafverteidiger, kommentierte: „Die Anklage der Staatsanwaltschaft bricht nach den ersten beiden Prozesstagen zusammen, trotzdem will sie nach sechs Jahren noch über Auflagen diskutieren. Es gibt aber nichts, wovon sich die Angeklagten distanzieren müssten: Sie werden nicht für Gewaltakte angeklagt, sondern für ihre bloße Anwesenheit bei einer Demonstration. Das Verfahren sollte sofort und ohne Auflagen eingestellt werden.“

Nils Jansen, Angeklagter im Prozess, betont: „Viele Angeklagte müssen weite Strecken zurücklegen, sind gesundheitlich beeinträchtigt und erleiden berufliche und finanzielle Einbußen. Manche haben das Angebot deshalb notgedrungen angenommen, ich und eine weitere Mitangeklagte werden es ablehnen. Diese Entscheidung ist uns nicht leicht gefallen, wir alle wünschen uns ein schnelles Ende des Verfahrens. Dennoch: Die Auflagen der Staatsanwaltschaft sind aus unserer Sicht Täter-Opfer-Umkehr. 14 Demonstrierende wurden am Rondenbarg von Krankenwagen abgeholt, kein einziger Polizeibeamter wurde verletzt. Wann distanzieren sich die verantwortlichen Polizeibeamten, wann die verantwortlichen Politiker*innen und die Stadt Hamburg für ihren Gipfel der Gewalt?“

Pressemitteilung vom 08.02.2024, 7:30 Uhr
Kontakt: info@grundrechteverteidigen.de

Kundgebungen und solidarische Prozessbegleitung im Februar 2024

Kommt zu den G20-Rondenbarg-Prozessen nach Hamburg. Stehen wir solidarisch an der Seite der Angeklagten. Hier gibt es weitere Infos zu den Kundgebungen und zur solidarischen Prozessbegleitung.

  • 08.02.2024 * Donnerstag
    08:30 bis 16:30 Uhr Kundgebung | 09:30 bis 16:00 Uhr Prozess
  • 09.02.2024 * Freitag
    08:00 bis 15:30 Uhr Kundgebung | 09:00 bis 15:00 Uhr Prozess
  • 22.02.2024 * Donnerstag
    08:30 bis 16:30 Uhr Kundgebung | 09:30 bis 16:00 Uhr Prozess
  • 23.02.2024 * Freitag
    08:00 bis 15:30 Uhr Kundgebung | 09:00 bis 15:00 Uhr Prozess

G20-Rondenbarg-Verfahren in Hamburg: Aktueller Stand

Am 18. und 19. Januar 2024 hat in Hamburg am Landgericht der dritte Anlauf im Rondenbarg-Prozess begonnen. Zahlreiche solidarische Menschen kamen zur Kundgebung vor dem Gericht und verfolgten den Prozess.

Die Angeklagten verlasen am 1. Prozesstag eine gemeinsame politische Prozesserklärung. Die Verteidigung hat am ersten Tag mehrere Opening Statements vorgetragen, in denen unter anderem auf das Versammlungsrecht und die Kritik an der juristischen Konstruktion der Hamburger Staatsanwaltschaft eingegangen wurde.

Bei den Prozessen gibt es eine solidarische Prozessbeobachtung. Zu den einzelnen Prozesstagen werden wir Protokolle veröffentlichen. Für die ersten beiden Prozesstage sind die Protokolle bereits verfügbar.

Am Samstag, dem 20. Januar 2024 hat in Hamburg mit 1500 Menschen die Solidaritätsdemonstraton unter dem Motto „Gemeinschaftlicher Widerstand gegen staatliche Repression! Versammlungsfreiheit verteidigen!“ stattgefunden. Die Demo war ein starkes Zeichen der Solidarität mit den Rondenbarg-Betroffenen und allen Linken, die mit Repression oder Knast konfrontiert sind.

Es gab rund um den Prozessbeginn zahlreiche Artikel und Interviews in der Presse. In unserem Pressespiegel haben wir eine Auswahl zusammengestellt.

Die nächsten beiden Prozesstermine sind am 8. Februar um 9:30 Uhr und am 9. Februar um 9:00 Uhr. Davor gibt es wie zu jedem Prozesstag Kundgebungen:

  • 08.02.2024: 3. Prozesstag * Kundgebung * 8:30 Uhr * Landgericht
  • 09.02.2024: 4. Prozesstag * Kundgebung * 8:00 Uhr * Landgericht

Anträge und Statements der Anwält*innen am ersten Prozesstag

Am ersten Verhandlungstag, Donnerstag den 18. Januar 2024, wurde neben der Prozesserklärung der Angeklagten Statements der Verteidiger*innen gehalten. Diese haben wir hier dokumentiert.

Zu den Statements

1500 auf der Soli-Demo „Gemeinschaftlicher Widerstand“ am 20.1. in Hamburg

Am 20.01.2024 haben wir anlässlich der ersten beiden Prozesstage im G20-Rondenbarg-Verfahren unter dem Motto „Gemeinschaftlicher Widerstand gegen staatliche Repression! Versammlungsfreiheit verteidigen!“ mit etwa 1500 Personen demonstriert. Auftaktort war der Jungfernstieg, als sich dort kurz vor 16 Uhr die ersten Teilnehmenden versammelten, ging es auch schon mit ersten Schikanen und Kontrollen durch die Polizei los. Diese war mit einem Aufgebot von 1200 Polizist*innen, mehreren Wasserwerfern, Räumpanzer, Kameras und sogar zwei Helikoptern vor Ort. Trotzdem konnte die Demonstration nach mehreren Redebeiträgen zeitnah starten. Zu Beginn gab es Redebeiträge vom Orga-Bündnis, von Waterkant Antifa zu Repression gegen Antifaschist*innen, die Interventionistische Linke hat zu G20 gesprochen, es gab eine Rede von Perspektive Kommunismus und einen Beitrag vom Bündnis zum Hansaplatz in Hamburg, wo es vermehrt zu Vertreibung von Wohnungslosen kommt. Kurz nach dem Start wurde die Demo von der Polizei aufgehalten, weil einigen Demonstrierenden Vermummung vorgeworfen wurde und einzelne Transparente von der Polizei als Aufruf zum Landfriedensbruch eingeschätzt wurden, es ging dann aber in zwei Blöcken – vorne dem Bündnis Block und hinten dem antiautoritären Block – weiter zur Zwischenkundgebung am Untersuchungsgefängnis. Dort gab es Redebeiträge von Antifa Hoheluft zum System Knast, zum Hamburger Parkbank Prozess, Roter Aufbau hat zum offensiven Umgang mit Repression gesprochen, das Gefangenen Info zu einem inhaftierten Genossen in Hamburg und zum Hungerstreik, danach hat noch eine italienische Genossin über Unterstützung von Geflüchteten in Italien berichtet. Auf dem Weg zur S-Bahn Sternschanze kam es noch mehrmals zu Provokationen durch die Polizei und die Demo lief teilweise in einem engen Polizeispalier. Trotzdem kamen alle Demonstrierenden bei der Abschlusskundgebung an, wo es noch einen Redebeitrag der Roten Hilfe zu G20 und Repression gab.

Wir waren auf der Straße in Solidarität mit den Angeklagten im Rondenbarg-Prozess und allen anderen Linken, die von Repression in Form von Gerichtsverfahren oder Knast betroffen sind. Denn Solidarität ist unsere stärkste Waffe im Kampf gegen die staatliche Repression.

Getroffen hat es einzelne, gemeint sind wir alle! United we Stand!

Fotos von der Demonstation

Audiomittschnitt der Pressekonferenz zum G20-Rondenbarg-Prozessauftakt 2024

Am 18. Januar 2024 hat vor dem Prozessbeginn eine Pressekonferenz vor dem Gerichtsgebäude in Hamburg stattgefunden. Es sprachen die Anwält*innen Adrian Wedel, Ulrich von Klinggräff und Gabriele Heineke, der Angeklagte Nils Jansen, Christoph Kleine für Block G20 sowie Norbert Hackbusch von der LINKEN Hamburg. Ulrich von Klinggräff sagte zum Beginn des Rondenbarg-Prozesses: „Alle sollen erfahren, welch schäbiges Spiel die Hamburger Staatsanwaltschaft treibt. Welcher Versuch einer politischen Justiz es hier ist, die Axt mit Hilfe der Strafjustiz an das Demonstrationsrecht anzulegen.“

Audio-Aufnahmen der gehaltenen Beiträge

Kurze Infos zum ersten Prozesstag und Kundgebung vor dem Gericht

Heute hat der erste Prozesstag im Rondenbarg-Verfahren vor der Großen Strafkammer am Hamburger Landgericht stattgefunden. Vor dem Gericht gab es ab 8 Uhr eine Kundgebung und außerdem eine Pressekonferenz, bei der die Anwält*innen Adrian Wedel, Ulrich von Klinggräff und Gabriele Heineke, der Angeklagte Nils Jansen, Christoph Kleine für Block G20 sowie Norbert Hackbusch von der LINKEN Hamburg gesprochen haben.

Der Prozess ging mit einer Verspätung von 1,5 Stunden los, da es umfangreiche Einlasskontrollen gab. Die etwa 100 Besucher*innen des Prozesses mussten einzeln durch eine Schleuse, ihre Sachen wurden durchleuchtet, sogar die Schuhe mussten ausgezogen werden. In das Gericht konnte nur Stift und Papier mit hineingenommen werden. Die Verteidigung stellte zu Beginn einen Antrag auf Einstellung des Prozesses, da das Verfahren einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip und gegen das Recht auf ein faires Verfahren nach der Menschenrechtskonvention darstellt. Die Anwältin Nedelmann führte aus, dass die Anklage nicht von bestehenden Strafvorschriften gedeckt ist. Die Anklage ist mit der bestehenden Rechtslage nicht in Einklang zu bringen, da für die bloße Anwesenheit in einer Demonstration, bei der es auch zu unfriedlichen Handlungen kommt, nicht alle Teilnehmer*innen kriminalisiert werden können. Das Gericht wies den Antrag auf Einstellung jedoch zurück.

Des Weiteren wurde von Angeklagten eine gemeinsame politische Prozesserklärung verlesen. Mehrere Anwälte machten Opening Statements und gingen unter anderem auf den massiven Angriff auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit und die juristischen Kunstgriffe der Staatsanwaltschaft ein, die das Hooligan-Urteil des Bundesgerichtshofs von 2017 auf den Rondenbarg-Prozess übertragen will, obwohl im BGH-Urteil steht, dass es nicht auf Demonstrationen angewendet werden kann. Ausführlichere Berichte der Prozesstage werden wir zeitnah veröffentlichen.