Grußwort zum Aktionstag von Hamburger Betroffenen

Grußwort vom „Hamburger Betroffenen Kollektiv Rondenbarg“ zum dezentralen Aktionstag am 28.11.

Rondenbarg: Vom Polizeihinterhalt zu Massenprozessen

Heute zum Aktionstag Rondenbarg wollen wir als Hamburger Betroffene das Wort ergreifen. Vor dem Hintergrund, dass der Prozess in dieser Woche beginnt, wollen wir euch alle zur bundesweiten Demonstration am 5.12. um 16 Uhr am Hamburger Hauptbahnhof einladen, mit uns gemeinsam auf die Straße zu gehen und eine Gegenöffentlichkeit herzustellen.

Aber Was passiert(e)?

Am Morgen des 7. Juli 2017 machten sich ca. 200 Aktivist*innen auf, um den G20-Gipfel in Hamburg zu stören. Am Rondenbarg schließlich wurden sie von der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit „Blumberg“ aus Brandenburg aufgerieben. Ohne Vorwarnung überrannten sie die Demonstration. Es gab zahlreiche Verletzte durch direkte Polizeigewalt, aber auch Schwerverletzte mit offenen Brüchen. Diese waren in Panik über einen Zaun geflohen, welcher vermutlich durch die Last, aber auch durch das Einwirken der Polizist*innen, zusammenbrach. Die, die nicht ins Krankenhaus mussten, wurden in die Gefangensammelstelle nach Harburg und in die umliegenden Knäste gebracht. Jetzt startet am 3.12 der erste Gruppenprozess rund um den Rondenbarg-Komplex.

Fünf Jugendlichen soll der Prozess gemacht werden. Insgesamt beläuft sich die Zahl der Angeklagten auf über 80 Personen. Der Prozess wird nicht öffentlich geführt, angeblich zum Schutz der damals noch Minderjährigen. Nach unserer Einschätzung handelt es sich aber auch um einen Testlauf der Anklage. Die Vorwürfe der „Bildung einer bewaffneten Gruppe“, des „gemeinschaftlichen besonders schweren Landesfriedensbruch“, der „gefährlichen Körperverletzung“, „Sachbeschädigung“ und des „Angriffs auf Vollstreckungsbeamt*innen“ sollen in ihrer Robustheit vor Gericht getestet werden. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit werden die Polizei, die Staatsanwaltschaft und die politisch Verantwortlichen versuchen, die Demonstration zu entpolitisieren und ihre Lügengeschichten zu verkaufen. Der damalige hamburger Bügermeister und Heute SPD-Chef Olaf Scholz legte die politische Linie bereits 2017 fest: „Polizeigewalt hat es nicht gegeben“.

Wieso der Prozess besonders ist

Dieser Prozess ist deswegen so besonders, weil keinem der Angeklagten eine konkrete Straftat vorgeworfen wird. Lediglich die Teilnahme an einer Demonstration, aus der heraus angeblich Straftaten erfolgten, soll für eine Verurteilung ausreichen. Eine Verurteilung der Genoss*innen hätte nicht nur Auswirkungen auf weitere Betroffene des Rondenbargs. Vielmehr würde es sich um einen Warnschuss für die gesamte Bewegungslinke in Deutschland bedeuten. Allein die Teilnahme an einer kämpferischen Demonstration würde zur Gefahr der individuellen Lebensplanung werden. Unter dem drohenden Hammer der Klassenjustiz würden sich viele radikale Linke von ihrer berechtigten Straßenmilitanz entfernen und die Jugend nicht zu einer finden.

Das langfristige Repressionsziel des Staates ist offensichtlich: Durch androhende Repression soll die radikale Bewegungslinke zahm gemacht werden. Die Folge wäre eine Entpolitisierung von Demonstrationen. Durch das Recht zweifelsfrei geschützt wäre dann nur die Teilnahme an einer Demonstration, die möglichst niemand mitbekommt und im Konsens mit dem Staat, seiner Polizei und dem Kapital abläuft. Es entstünde Ungewissheit und Angst vor der Illegalisierung der Teilnahme an Demonstrationen aus denen heraus mutmaßlich Straftaten erfolgen. Antagonistische Positionen und gegenkulturelle Bewegungen die eine Überwindung der Krise des Status-Quo artikulieren, würden umfassender als bisher kriminalisiert werden. Wir verstehen eine wahrscheinliche Verurteilung als vorbeugende Formation des Staates auf die näherkommenden Einschläge der Wirtschafts- und Finanzkrisen, sowie der ökologischen Katastrophe. Der Staat formiert sich gegen den sozialen Widerstand. Die wahrscheinliche Verschärfung der Rechtsprechung ist dabei neben den in den Bundesländern verschärften Polizeigesetzen ein Symptom der rechten Entwicklung der letzten Jahre.

Was wir jetzt brauchen

Wir als Betroffene brauchen in erster Linie Solidarität. Solidarität ist eine Waffe um uns als Antifaschist*innen und Antikapitalist*innen vor Angriffen des bürgerlichen Staates zu schützen. Solidarität ist aber mehr als das. Solidarität ist auch eine Absage an eine sich immer weiter vereinzelnde Gesellschaft. Der Neoliberalismus verbannt uns in abgeschottete Existenzen und versucht uns losgelöst von unseren sozialen Kontakten in verlassene Einsiedler*innen umzukehren. Unter den historischen Bedingungen einer Pandemie ist das besonders spürbar. Deswegen sollten wir nicht bei der politischen Zusammenarbeit gegen Repression stehen bleiben, sondern viel weiter gehen. Solidarität ist das Gegenteil der vereinzelten, neoliberalen Lebensweise. Denn Solidarität ist Verwirklichung dessen was wir als Linke wollen: Zusammenhalt und Gemeinschaft, ansonsten vereinzelter Gleicher.

Der gemeinsame solidarische Kampf und das zusammenstehen mit Genoss*innen verschiedener linker Strömung kann dabei völlig neue Bündnisse und Kräfte entfesseln. Die revolutionäre Kraft der Solidarität liegt genau hier. Deswegen brauchen nicht nur wir als Betroffene von Repression Solidarität, sondern die deutsche Linke insgesamt braucht Spektren übergreifende solidarische Strukturen um eine wirksame Gegenmacht gegen die Krisen des Status-Quo zu bilden. Fangen wir an über unseren eigenen kleinen Tellerrand zu schauen und begreifen wir die aktuellen Angriffe auf die radikale Linke, seien es die §129a Verfahren gegen den Roten Aufbau, die antifaschistischen Genoss*innen in Haft oder die bisherigen G20-Prozesse, als einen Angriff auf die gesamte politische Linke. Wer gesellschaftlichen Fortschritt will, wird unweigerlich irgendwann mit der Staatsmacht konfrontiert werden, da hilft es ungemein, wenn man auf eine gesamte Bewegung zählen kann!

Quelle Lower Class Magazine