Das erste Rondenbarg-Urteil ist rechtskräftig

Die Auseinandersetzung um die Versammlungsfreiheit geht weiter

Am 13. Januar wurde die Revision im ersten Rondenbarg-Verfahren zurückgezogen. Das Urteil des Landgerichts Hamburg ist nun rechtskräftig. Damit endet für die Angeklagtengruppe nach über sieben Jahren die juristische Auseinandersetzung rund um die Demonstration am Rondenbarg im Rahmen der G20-Proteste 2017. Insgesamt wurden in diesem Zusammenhang Ermittlungsverfahren gegen 86 Personen eingeleitet, aufgeteilt in acht Verfahrensgruppen. Die neuerliche Rechtsprechung bleibt weit hinter den ursprünglichen Hoffnungen der Staatsanwaltschaft Hamburg zurück. Dennoch vervollständigt sie das Mosaik einer permanenten Verschärfung des Rechts auf Versammlungsfreiheit. Fortsetzung folgt – bei weiteren Rondenbarg-Prozessen und auch entlang anderer Demogeschehnisse.

Rückblende

Nach 24 Prozesstagen endete das erste Rondenbarg-Verfahren am 3. September 2024 mit einem Urteil: „Die Angeklagten sind des Landfriedensbruchs in Tateinheit mit Beihilfe zur versuchten gefährlichen Körperverletzung, mit Beihilfe zum tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte und mit Beihilfe zur Sachbeschädigung schuldig“. Je 90 Tagessätze sieht der Richterspruch für die beiden Angeklagten vor, wobei 40 Tagessätze aufgrund von „rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung“ als abgegolten zählen. Begleitet wurde der Prozess mit mehreren Demonstrationen, etlichen Veranstaltungen und auch die mediale Berichterstattung war vergleichsweise positiv.

Für die ursprünglich sieben Angeklagten stellte der Prozess eine massive Belastung dar. Über sechs Jahre nach den Gipfelprotesten mussten sie sich politisch und juristisch auf das Verfahren vorbereiten und sich als Angeklagtenkollektiv zusammenfinden. Trotz intensiver Bemühungen und der Unterstützung durch verschiedene Solidaritätsorganisationen gab es Momente, in denen es nicht gelungen ist, den Herausforderungen in zufriedenstellender Weise gerecht zu werden. Genauso gab es aber auch Momente der Stärke, in denen es gelungen ist, politisch nach vorne zu kommen und Solidarität Praxis werden zu lassen. Diese ambivalenten Erfahrungen auszuwerten und für kommende Prozesse nutzbar zu machen, bleibt eine Herausforderung für die kommenden Monate.

Urteil

Das Urteil des Landgerichts Hamburg umfasst 153 Seiten. Kurz zusammengefasst geht das Gericht davon aus, dass alle der Demonstration zugeordneten Personen Teil einer militanten Aktion waren. Die Gruppe sei explizit nicht Teil des für diesen Tag des Gipfels angekündigten Fingerkonzeptes gewesen; anstelle des öffentlich einsehbaren „Aktionskonsens“ habe man sich darauf verständigt, dass Militanz – beispielsweise gegen Polizeikräfte – legitim ist. Bei dieser Würdigung bezieht sich das Gericht insbesondere auf die dunkle, sich ähnelnde Kleidung der Festgenommenen sowie Notizen, die im Rahmen mehrerer Hausdurchsuchungen gefunden wurden.

Eine erstaunliche Leistung des Gerichts besteht darin, dass es sich nicht festlegt, ob es sich bei der Demonstration am Rondenbarg um eine Versammlung im Sinne des Artikel 8 des Grundgesetzes gehandelt hat. Insgesamt lässt das Urteil Unschärfen, die unterschiedlich ausgelegt werden können.

Letztlich reiht sich das Urteil ein in eine Reihe vorangegangener und ausstehender strafprozessualer Auseinandersetzungen. Beispielsweise seien hier das Elbchausseeverfahren und die Anklagen im Kontext der „Tag-X-Demonstration“ in Leipzig 2023 genannt.

Die strategische Orientierung von Polizei und Staatsanwaltschaft ist offensichtlich. Die Versammlungsfreiheit soll dahingehend verschärft werden, dass zukünftig alle, die sich an einer Versammlung beteiligen, aus der heraus Teile militant agieren, strafrechtlich verfolgt werden können. Damit soll die Liberalisierung des Versammlungsrechts und die Entschärfung des Straftatbestandes Landfriedensbruchs, welche unter anderem durch die Strafrechtsreform 1970 und den Brokdorf-Beschluss 1985 erreicht wurden, weiter ausgehebelt werden. Dieses strategische Vorgehen der Repressionsbehörden im Allgemeinen und das sich nun darin einreihende Urteil des Landgerichts Hamburg ist entschieden zurückzuweisen.

Revision

Die Demonstration am Rondenbarg wurde von Beginn an hoch aufgehängt. Da es sich um „schwerwiegende Straftaten“ handle, wurde statt vor dem Amtsgericht gleich vor dem Landgericht verhandelt. Das Landgericht ist als Gericht zweiter Instanz für die Entscheidung in Strafsachen zuständig, bei denen Freiheitsstrafen von mindestens zwei Jahren zu erwarten sind. Da das Urteil vom Landgericht getroffen wurde, ist hiergegen keine Berufung möglich. Als einzige Widerspruchsmöglichkeit bleibt nur die Revision vor dem Bundesgerichtshof.

Zur Wahrung der Fristen wurde, ohne die schriftliche Urteilsbegründung zu kennen und die Erfolgsaussichten einschätzen zu können, zunächst Revision eingelegt. Entscheidender Grund den weiteren Rechtsweg in Betracht zu ziehen, war die Hoffnung mit juristischen Mitteln die Chronologie versammlungsfeindlicher Urteile stoppen zu können. Auch ein möglicherweise positiver Effekt auf Folgeverfahren und nicht zuletzt die schlichte Empörung und Wut über das skandalöse Urteil waren Argumente. Nach intensiven politischen Diskussionen und dem Austausch mit etlichen Strafverteidiger:innen zu der Erkenntnis kommen zu müssen, dass die Argumente gegen ein weiteres Bestreiten des Rechtswegs überwiegen, tut weh.

Zuständig für die Revision wäre die 5. Strafkammer des Bundesgerichtshofs gewesen, eine Kammer, die bereits im Elbchausseeverfahren versammlungsfeindlich urteilte und insgesamt für besonders reaktionäre Rechtsauffassungen steht. Die Wahrscheinlichkeit, dass der BGH das Urteil bestätigt hätte, ist hoch. In diesem Fall wäre der Sache ein Bärendienst erwiesen worden. Selbst bei dem unwahrscheinlichen Fall eines (Teil-)Erfolgs der Revision wäre fraglich, ob dieser auf Folgeverfahren positive Auswirkungen hätte.

Neben diesen juristischen Überlegungen sprachen auch gewichtige politische Gründe dagegen: Die Revision von nur einer der beiden Verurteilten, die aus juristischen Überlegungen im Raum stand, hätte das Angeklagtenkollektiv aufgesprengt und wäre Gefahr gelaufen, die „Unschuld“ einer einzelnen Person in den Vordergrund zu stellen. Das wäre politisch von vornherein eine Bankrotterklärung gewesen.

Zwischenfazit

Das Rondenbarg-Verfahren 2024 hat gezeigt, wie zäh das Ringen um das Recht auf Versammlungen ist. Nach jahrelangen Ermittlungen einer riesigen Sonderkommission, enormen Bemühungen der Staatsanwaltschaft und einem 24 Verhandlungstage andauernden Gerichtsprozess steht nun ein diffuses Urteil. Ein Ergebnis, das ohne intensives politisches und juristisches Engagement nicht möglich gewesen wäre. Und dennoch eine Niederlage, da es nicht gelungen ist, den Angriff auf linke Bewegungen zurückzuweisen.

Entscheidend für den Ausgang der Auseinandersetzung wird nun sein, was in den folgenden Verfahren – sowohl im Kontext Rondenbarg als auch darüber hinaus – gelingt. Am 13.12.2024 hat das Landgericht Hamburg ein weiteres Rondenbarg-Verfahren eröffnet, somit müssen inzwischen vier Angeklagtengruppen mit einem baldigen Prozessbeginn rechnen. Gleichzeitig wurden und werden etliche Rondenbarg-Verfahren eingestellt.

Die Auseinandersetzung um die Versammlungsfreiheit geht weiter: Vor den Gerichten und auf der Straße.

Rote Hilfe Ortsgruppen Hamburg und Stuttgart & Kampagne Gemeinschaftlicher Widerstand im Januar 2025

Hintergrundinformationen zum Rondenbarg-Verfahren:
rondenbarg-prozess.rote-hilfe.de/was-ist-passiert
gemeinschaftlich.noblogs.org/hintergrund