„Es ist kein Zufall, dass wir, die wir uns gegen diese Zustände wehren, vor Gericht stehen und eben nicht jene, die für die tägliche Gewalt, für Tod und Elend auf dieser Welt verantwortlich sind“. Erklärung der Angeklagten im Rondenbarg-Prozess in Zürich.
Die Repression gegen die G20-Bewegung ist beachtlich. Hunderte von Prozessen, oft fruchtlose Öffentlichkeitsfahndungen in halb Europa, Monate von U-Haft gegen einzelne, dutzende von wahllosen Hausdurchsuchungen, die sich sogar bis in den Kanton Aargau erstreckten. Die Repression ist dabei offen politisch. Zahlreiche Prozesse drehen sich allein darum, dass die Angeklagten an Demonstrationen gegen den G20 teilgenommen haben. Eine blosse Teilnahme an einer Demo soll bereits kriminalisiert werden. Etwas, dass wir von der Schweizer Justiz mit dem Gummiparagraphen «Landfriedensbruch» zu Genüge kennen, für Deutschland allerdings über den üblichen Rahmen hinaus geht. Diese neue Dimension macht klar, dass es um einen Rachefeldzug des deutschen Staates geht, an dem sich die Schweizer Justiz gerne beteiligt.
Doch wir sollten bei all der Repression nicht den Grund für diese Rachegelüste vergessen. Wenn der Feind uns bekämpft ist das gut und nicht nur schlecht, «denn es zeugt davon, dass wir nicht nur zwischen uns und dem Feind eine klare Trennungslinie gezogen haben, sondern dass unsere Arbeit auch glänzende Erfolge gezeitigt hat.“ Solch ein glänzender Erfolg waren die Proteste in Hamburg. Nicht nur die riesigen Demonstrationen und Blockaden, sondern insbesondere auch die militanten Strassenkämpfe am Abend im Schanzenviertel. Die breite Anti-G20-Bewegung konnte sich hier mit den Massen in den Quartieren vereinigen, die es satthatten, dass ihre Viertel für eine Hand voll Bonzen in Geiselhaft genommen wurden. Diese Massenbeteiligung machte die Kämpfe im Schanzenviertel erst so kraftvoll und sorgte dafür, dass dem Staat für Stunden die Kontrolle über das Quartier entglitten war, trotz einem Aufgebot von 31’000 Bullen. Barrikaden brannten, Polizeieinheiten wurden in die Flucht geschlagen und die Leute eigneten sich die teuren Lebensmittel aus den Läden einfach selbst an. In der Nacht wurden die Knäste zunehmend überfüllt und wir Gefangenen sassen und lagen dicht an dicht in den improvisierten Zellen. Doch die Neuankommenden berichteten in breitestem Hamburger Dialekt darüber, dass sich die Bullen komplett aus dem Schanzenviertel zurückgezogen hätten, und ihre Freude verbreitete sich in unseren Zellen wie ein Lauffeuer.
Nicht auf Flugblättern und Transparenten, sondern in solchen Momenten von militanten Massendynamiken entscheidet sich, wer es mit seinem revolutionären Anspruch ernst meint. Natürlich verlaufen diese Dynamiken nicht immer so, wie wir es uns nach Lehrbuch vorstellen. Es zeigen sich darin immer auch die Widersprüche in den Massen selbst und nicht jede Aktion und jedes Verhalten entspricht unseren politischen Vorstellungen. Zentral ist es dabei jedoch, vor der Dynamik nicht zurückzuschrecken, sondern sich in sie hineinzubegeben und Teil davon zu sein. Es gilt diese Momente aber auch im Nachhinein angesichts von Medienhetze und Repression zu Verteidigen und in ihrer Bedeutung hervorzuheben.
Aber sprechen wir nicht nur über St. Pauli, sprechen wir auch über St. Gallen. In dem sonst so beschaulichen Städtchen zeigte die Jugend kürzlich ihre Wut mittels spontan entstandener Strassenkämpfe und St. Gallen ist hier nur ein Beispiel unter vielen. Woher die Widersprüche kommen, ist klar: Arbeiten und die Schule gehen müssen sie weiterhin, doch alles andere ist für das Kapital entbehrlich. Gestaltung der Freizeit, Möglichkeiten sich ausserhalb von Lohnarbeit zu verwirklichen, Gemeinschaft und sozialer Kontakt bringen keinen Profit und sind also gestrichen. Sitzt zu Hause bei euren Eltern, schaut Netflix und macht uns keine Probleme! Und wenn ihr vor die Türe geht, werdet ihr gejagt, kontrolliert und weggewiesen. Es ist nichts als legitim, dass sich dagegen militanter Widerstand äussert. Hier, noch mehr als in Hamburg, sind diese Massendynamiken nicht frei von Widersprüchen. Sie verlaufen nicht genau so, wie wir sie uns wünschen und immer auch ein Spiegel der Widersprüche im Volk und enthalten auch reaktionäre Elemente. Das ist eben der Charakter einer militanten Massendynamik von unten und davon gilt es zu lernen und damit umzugehen. Aber immer mit der grundsätzlichen Position: Es ist gut und gerechtfertigt, dass es diese Rebellion gibt.
Schauen wir über den Tellerrand hinaus, sehen wir, dass es überall auf der Welt Menschen und Gruppen gibt, die Widerstand leisten. Und zwar nicht erst seit durch die Corona Pandemie die Widersprüche des Kapitalismus und die Schere zwischen arm und reich auch in der Schweiz so offenkundig daliegen. Viele Kämpfende auf der ganzen Welt teilen das gemeinsame Ziel, nicht nur unsere Bedingungen etwas zu verbessern, sondern den Kapitalismus als Ganzes in Frage zu stellen und eine neue, soziale und solidarische Welt zu gestalten. An vorderster Front kämpfen überall Frauen und queere Personen, denn wir sind es, die am wenigsten zu verlieren und am meisten zu gewinnen haben, wenn wir uns als kämpfende Subjekte verstehen und erleben. Denn in dem kapitalistischen System welches durchzogen ist von patriarchalen Strukturen, erleben wir auf täglicher Basis Unterdrückung und Sexismus. Die Zweiteilung der Geschlechter als Zwang und die Abwertung des einen hat System. Es nützt dem Kapitalismus, die Ökonomie in eine gesellschaftliche Produktion und eine private Reproduktion zu teilen, wobei die Reproduktion abgewertet wird und gratis oder schlecht bezahlt geleistet werden muss. Diese Aufteilung schürt sexistische Übergriffe und Gewalt an Frauen und queeren Personen. Dagegen geht eine grosse feministische Bewegung mit viel Selbstbewusstsein und Kampfeswille weltweit auf die Strasse. Wir nehmen uns ein Beispiel an der Frauenbewegung in Rojava, die bewaffnet, unter widrigsten Umständen eine neue, gerechtere Gesellschaft aufbaut und wir kämpfen zusammen mit dem mexikanischen „bloque negro“ und der „ni una menos“ Bewegung gegen Feminizide.
Wenn wir hier heute vor Gericht stehen, weil wir angeblich an einer gewaltbereiten Demonstration teilgenommen haben, oder wenn Jugendliche in St. Gallen der Gewalt bezichtig werden, fragen wir uns, von welcher Gewalt hier eigentlich gesprochen wird. Und was ein paar Steinwürfe sind gegen einen hochausgerüsteten Staatsapparat, in Anbetracht der Gräueltaten und der strukturellen Gewalt die der Kapitalismus auf täglicher Basis produziert.
Seien wir uns bewusst, welche Interessen im Zentrum stehen, wenn sich die herrschenden der 20 ökonomisch stärksten Ländern wie den USA, Deutschland, Russland, China oder Saudiarabien sowie die EU gemeinsam an einen Tisch setzen: Nämlich jene der Kapitalist_innen in den jeweiligen Ländern. Und diese glänzen nicht durch Zurückhaltung, wenn es um die Durchsetzung ihrer Interessen geht: Angriffskriege, Aufrüstung, Unterdrückung von Minderheiten, Schwächung der Arbeiter_innenrechte, sklavenähnliche Ausbeutung von Arbeitsmigrant_innen sind nur einige ihrer Mittel dazu. Es ist kein Zufall, dass wir, die wir uns gegen diese Zustände wehren, vor Gericht stehen und eben nicht jene, die für die tägliche Gewalt, für Tod und Elend auf dieser Welt verantwortlich sind.
Bei dieser schreienden Ungerechtigkeit bleibt uns nichts anderes als Widerstand zu leisten und weiter zu kämpfen, weiter auf die Strasse zu gehen, mit der Jugend, mit den Massen, hier und weltweit, um der Unterdrückung, Ausbeutung und der Zerstörung des Planeten ein Ende zu setzen. Der Widerstand und die Solidarität zwischen den Kämpfenden auf der Welt wurde in Hamburg erfahr- und spürbar: Gemeinsam waren wir auf der Strasse und haben gezeigt, dass sich die Herrschenden dieser Welt niemals ohne unseren entschlossenen, militanten Widerstand treffen können.