Prozessbericht 20 vom 19.07.2024

Die Verhandlung beginnt um 9:10 Uhr im Saal 288. Alle Prozessbeteiligten sind anwesend: die drei Berufsrichter*innen, zwei Schöffinnen, die vier Verteidiger*innen und die beiden Angeklagten. 11 Prozessbeobachter*innen sind da.

Die Richterin beginnt den Verhandlungstag mit: „Haben wir erstmal ein bisschen Kino“. Die Staatsanwältin hatte angeregt beide Videos aus der Augenscheinliste in voller Länge zu zeigen.

Das 57-minütige Spiegel-TV-Video wird gezeigt.
Das komplette sieben-minütige Video vom „Revolutionären Block“ auf der LL-Demo 2017 wird gezeigt. Am Vortag wurde bereits ein Ausschnitt aus dem Video gezeigt.

Kartenausschnitte gefertigt durch die Polizei werden gezeigt. Darauf abgebildet sind „Fingerbewegungen“, Fotos von Beschlagnahmungen im Rondenbarg sowie Karten mit „Einsatzsituationen“. Unter anderem „Störer“, „Hotels“, „Uhrzeit: Sitzblockade aufgelöst“.

Zeuge Marc-Alexander Schindelar vom Verfassungsschutz Niedersachsen, Referatsteilleitung Linksextremismus, 45 Jahre alt wird vernommen.

Die Verteidigung hatte beantragt den Verfassungsschutz Niedersachen zu hören. Die Fragestellung ist: Waren Vertrauenspersonen des Verfassungsschutz Niedersachen im Schwarzen Finger anwesend? Schindelar beginnt seine Aussage damit, dass er wegen seiner Aussagegenehmigung wenig sagen darf.

Zur enttarnten V-Person Gerrit Greimann in Göttingen sagt Schindelar, dass der Verfassungsschutz nicht bestätigen wird, das Greimann eine V-Person ist. Das würde der niedersächsische Verfassungsschutz immer so handhaben.

Schindelar schildert, dass V-Personen vom niedersächsischen Verfassungsschutz beim G20 in Hamburg präsent waren. Es sei ihnen erlaubt teilzunehmen. Sie dürften aber nicht steuern. „Für welche Finger wir uns interessiert haben“ dürfe er nicht preisgeben. Zu der Frage danach was V-Personen dürfen, gibt Schindelar an, dass diese zum Beispiel bei Blockadeaktionen mitlaufen dürfen und „szenetypische Straftaten“ wie niedrigschwellige Sachbeschädigung verüben dürfen um nicht aufzufallen. Körperverletzung sei nicht erlaubt. Ob Steinwürfe Richtung Polizei zum Erlaubten gehören, ließ Schindelar offen. An Vorbereitungstreffen dürfen sie teilnehmen, aber keine steuernde Einflussnahme nehmen. Vermummung sei unproblematisch. Mit der Polizei dürfen sie aus Gründen der Gewaltenteilung nicht zusammenarbeiten.

Schindelar wiederholt immer wieder, dass er nichts weiter konkretes sagen wird, weil jede Aussage diesbezüglich den Kreis immer enger ziehen würde, Rückschlüsse durch Auswahlverfahren erlauben und zu Enttarnungen führen könnte. Auf Befragung von Anwalt Richwin gibt Schindelar bekannt, dass die Aussagegenehmigung von einem Kollegen auf selber Rangstufe ausgestellt worden sei. Er bejaht, dass wie es aus einem Organigramm hervorgeht Dirk Pejril sein Vorgesetzter sei.

Auf die Frage der Richterin, ob gemeldet wird, wenn bekannt wird, dass V-Personen keine nur mehr niedrigschwelligen Straftaten begehen, antwortet Schindelar, dass diese dann abgeschaltet würden.

Die Verteidigung bittet um Unterbrechung. Nachdem sie sich beraten hat erbitten sie, dass der Zeuge rausgeschickt wird. Die Verteidigung sagt, nachdem der Zeuge den Saal verlassen hat, dass nach sieben Jahren so eine Aussagegenehmigung nicht rechtmäßig sei. Es liegt keine Gefährdung mehr vor. Die V-Person Gerrit Greimann sei ohnehin aufgedeckt. Anwalt Wedel schlägt vor, dass das Gericht feststellen möge, das der niedersächsische Verfassungsschutz in Form von V-Personen an Planung und Demo des Schwarzen Fingers beteiligt war. Die Staatsanwältin will diesen Schluss nicht zwingend ziehen. Die Verteidigung überlege gegen die Aussagegenehmigung beim Verwaltungsgericht vorzugehen. Die Verteidigung hält es für zwingend erforderlich aufzuklären, ob V-Personen an der Versammlung teilgenommen haben. Insbesondere weil aus Sicht der Kammer die Teilnahme an der Demonstration zum Beispiel mit schwarzer Kleidung ausreichen würde, um eine Straftat zu begehen und es niedersächsischen V-Personen erlaubt sei niedrigschwellige Straftaten zu begehen. Die Staatsanwältin spricht sich dafür aus, Gerrit Greimann aussagen zu lassen.

Das Gericht zieht sich zurück und berät sich. Nach der Unterbrechung gibt die Kammer bekannt, dass sie sich um eine schriftliche Stellungnahme vom niedersächsischen Verfassungsschutz bemühen werde mit der Fragestellung ob ein oder mehrere V-Personen im schwarzen Finger anwesend waren. Zudem will die Kammer versuchen Greimann zu laden.

Der Zeuge wird wieder reingebeten. Die Richterin regt an, dass Zeuge Schindelar sich mit seinem Vorgesetzten noch mal abstimmen solle, ob nicht doch zu dieser einen Frage – Anwesenheit einer V-Person im Schwarzen Finger – Auskunft gegeben werden könne. Das Gericht könne es nicht nachvollziehen, dass nach sieben Jahren diese eine Frage nicht beantwortet werden kann.

Der Zeuge kann gehen wird aber vorläufig nicht entlassen.

Mittagspause von 11:30 bis 13 Uhr.

Der Polizeibeamte Martin Nicko, 39 Jahre, damals erste Einheit der BFE Blumberg, heute Bundespolizeiinspektion Forst wird wie bereits am 13.06.2024 vernommen da bei seiner Vernehmung der befangene Schöffe anwesend war. Die Richterin erläutert, dass es so sei als hätte er nie hier ausgesagt. Nicko gibt an, dass seine Einheit den Auftrag erhielt in Richtung einer Personengruppe zu fahren die ihnen zugewiesen worden sei. Sie seien dann im Rondenbarg auf diese Personengruppe getroffen. Es habe Rauch und Steinwürfe gegeben. Seine Einheit sei dann abgesessen. Auf Signal des Hundertschaftsführers seien sie dann auf die Gruppe zugelaufen. Vor ihnen seien Steine auf dem Boden gelandet. Der Abstand ist schwer zu sagen, da der Blick auf die Peripherie gerichtet sei. Beim letzten Mal hätte er ja ausgesagt, getroffen worden zu sein. Und hat dann, von der Richterin darauf hingewiesen, dass von einem Treffer im Protokoll nichts steht, die Aussage widerrufen. Ihm fiel ein, dass sie nach dem Einsatz in seiner Einheit die Videos vom Einsatz geschaut haben und er sah, dass ein Stein rechts vor ihm landete. Zur Vorbereitung auf diesen Prozesstag hätte er seine zeugenschaftliche Aussage von 2017 nochmal durchgelesen.

Auf Befragung sagt Nicko, dass es fünf Finger gewesen seien und seiner Einheit der Schwarze Finger zugeordnet worden ist. Ihnen sei im Vorhinein bekannt gewesen, dass sich die Finger in Richtung Protokollstrecken bewegen wollen um dort zu blockieren. Ihr Auftrag sei gewesen die „schwarze Personengruppe“ zu stoppen.

Die Richterin hält ihm vor, dass er bei seiner Aussage vor einem Monat gesagt hätte, dass ihnen klar war, dass sie im Rondenbarg auf den „Schwarzen Finger“ treffen werden. Nicko gibt an sich nicht mehr genau zu erinnern, ob das klar war. Weiter sagt Nicko aus, dass als sie auf die Personengruppe zuliefen Personen nach links und rechts „abgeflossen“ seien. Eventuell seien bereits bevor sie auf die Gruppe zuliefen vereinzelt Personen „abgeflossen“. Mit körperlicher Gewalt hätten sie die Personen zu Boden gebracht. Der Auftrag war die „Situation statisch zu machen“. Gegenstände wie Taschen und Rucksäcke wären sichergestellt worden. Er glaubt sich erinnern zu können am Heck eines blauen PKWs gestanden zu haben.

Auf Befragung der Staatsanwaltschaft gibt Nicko an, dass es Stellen bei der Schutzausrüstung gibt die relativ ungeschützt seien und, dass der Befehl Pfeile bedeute, dass sie sich in einer Formation aufstellen, die die ganze Straßenbreite abdecke, der Befehl aber kein weitergehender Zugriffsbefehl sei. Er gibt an, dass die Masse schwarz gekleidet und vermummt gewesen sei. Er sei durch den Sprühnebel des Wasserwerfers etwas nass geworden. Vor allem Kollegen der zweiten Einheit seien aber richtig nass geworden.

Der Zeuge wird unvereidigt entlassen.

Die Richterin gibt zur Kenntnis, dass das Gericht versucht habe mit dem Ermittlungsführer Soko Schwarzer Block Richters zu sprechen, um zu klären, ob und wie Greimann geladen werden könne. Das Gericht hätte bisher bezüglich des Verfassungsschutzes nichts unternommen. Die Richterin wisse nicht an wen sie sich wenden solle mit der Bitte um Beantwortung der Frage, ob eine V-Person im Schwarzen Block anwesend gewesen sei. Sie sei auf dem Sprung und wäre in den kommenden zwei Wochen nicht im Dienst. Die Richterin schlägt vor, dass die Verteidigung doch gerichtlich gegen die Aussagegenehmigung vorgehen solle, wenn sie das wolle.

Es wird beschlossen, dass auf die Ladung von Starke verzichtet wird und stattdessen die zeugenschaftliche Vernehmung seine Aussage ersetzten soll.

Die Richterin fragt die Verteidigung, ob sie weiterhin am psychologischen Sachverständigengutachten festhalte was die Verteidigung bejaht. Das Gericht sei nicht überzeugt.

Neue Urkundenlisten werden den Schöffinnen und den Angeklagten übergeben. Anschließend zieht sich das Gericht zur Beratung über den Antrag zum psychologischen Sachverständigengutachten zurück. Wenig später verliest die Richterin ein mehrseitiges Papier mit dem der Antrag zurückgewiesen wird: das Gericht besitze selber den nötigen Sachverstand.

Die Richterin verliest einen rechtlichen Hinweis gemäß Paragraph 265 StPO. Darin heißt es, dass die Angeklagten darauf hingewiesen werden, dass anders als in der Anklage vom 26.09.2019 auch eine Verurteilung wegen Beihilfe zu versuchter gefährlicher Körperverletzung, zur Sachbeschädigung, zum Widerstand gegen sowie zu einem tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Betracht kommt. Soweit durch dieselbe Tat laut Anklage der Tatbestand des Landfriedensbruchs gemäß Paragraph 125 StGB erfüllt sein soll, kommt in Betracht, dass die Angeklagten sich lediglich als Teilnehmer und nicht als Täter beteiligt haben könnten. Bei einem Angeklagten wird auch die mögliche Einbindung in die Planung in den Blick genommen.

Die Verteidigung eines Angeklagten macht Angaben zu den finanziellen Verhältnissen.

Drei neue Termine werden festgesetzt: Montag der 26.08., Dienstag der 27.08. und Dienstag der 03.09. Jeweils von 9:30 Uhr bis 16 Uhr. Die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung solle sich für den 15. und 16. August schon mal auf die Plädoyers vorbereiten.

Die Verhandlung endet um 14:22 Uhr.