Prozessbericht 16 vom 31.05.2024

Der Prozesstag beginnt um 9:05 Uhr. Es sind noch nicht alle Prozessbeobachter*innen im Saal 288. Die Sicherheitskontrollen sind unverändert hoch, so dass es lange dauert bis alle 18 Zuschauer*innen in den Saal gelangen können. Eine Person aus dem Publikum beschwert sich über die weiterhin intensiven Einlasskontrollen und darüber, dass die Richterin anfangen will, obwohl die Öffentlichkeit noch nicht hergestellt ist. Die Richterin erwidert, dass die Schleuse ab 8 Uhr geöffnet hätte und beginnt mit der Verhandlung. Bei der Staatsanwaltschaft ist eine Vertreterin für die ansonsten zuständigen Meesenburg und Helfen anwesend.

Es wird der Polizeibeamte Ritter als Zeuge vernommen. Er ist 54 Jahre alt und sein Dienstort ist Ahrensfelde in Brandenburg. Beim G20-Gipfel in Hamburg war er Hundertschaftsführer der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit der Bundespolizei Blumberg. Er hatte vor der heutigen Zeugenaussage seinen damaligen Bericht gelesen und macht einen Bericht zu den Vorgängen am frühen Morgen des 07.07.2017.

Seine Einheit war ab dem frühen Morgen bereitgestellt und erhielt gegen 6:18 Uhr den Auftrag in Richtung Volkspark Altona zu fahren. Dort sei eine Gruppe von etwa 100 bis 150 schwarz gekleideten Personen unterwegs. Die Einheit solle polizeiliche Maßnahmen treffen, sofern dies erforderlich sei. Sie sind aus der Straße Holstenkamp in den Rondenbarg gefahren. Der Zeuge sagt aus, dass ihnen eine große Personengruppe entgegenkam. Die Gruppe sei ausnahmslos schwarz gekleidet und große Teile davon vermummt gewesen. Er konnte die Gruppe nicht in Gänze erkennen, da die Straße nicht komplett einsehbar war. Er ließ die Fahrzeuge anhalten und die Einsatzkräfte absitzen. Es wurde Pyrotechnik gezündet, was nicht ungewöhnlich sei und nicht so aufregend für ihn. Dann kam es zu mehreren Steinwürfen aus der Spitze der Demonstration. Die Einsatzkräfte wurden in den Bereich entsandt, es kam noch zu weiteren Steinwürfen. Die Polizeikräfte haben Personen festgenommen.

In diesem Moment stehen die Prozessbeobachter*innen auf und halten Fotos hoch auf denen die zahlreichen Krankenwagen zu sehen sind, die am Morgen im Rondenbarg im Einsatz waren, um die vielen verletzten Demonstrant*innen zu versorgen. Der Zeuge unterbricht seinen Bericht und die Richterin Boddin fordert das Publikum auf sich wieder hinzusetzen, was die Prozessbeobachter*innen dann nach einer gewissen Zeit auch tun.

Der Zeuge berichtet von am Rondenbarg festgestellten Gegenständen. Er zählt Pyrotechnik, eine Signalfackel, Hämmer, Stahlseile, eine Stahlkugel-Schleuder und Steine auf. Er sagt aus, die Personen seien einheitlich gekleidet gewesen und hätten die gleichen Schuhe getragen. Beim Fronttransparent wurde sich laut dem Zeugen viel Mühe gegeben, denn es sei mit einem Brett und angeschraubten Metallgriffen versehen worden. Das Aufeinandertreffen mit der Gruppe war für ihn überraschend, er hatte in dieser Straße nicht damit gerechnet. Die Steinwürfe kamen erst verzögert.

Die Richterin beginnt Fragen zu stellen. Sie will wissen, ob er Informationen über weitere Vorkommnisse hatte. Er gibt an einen geringen Kenntnisstand gehabt zu haben und nichts von Vorfällen davor gewusst zu haben. Auf die Frage, ob eine Auflösung von vornherein geplant war, antwortet er, dass bei einer statischen Lage ohne Steinwürfe, wahrscheinlich keine Auflösung erfolgt wäre. Bei einer vermummten Gruppe und Steinwürfen sieht er keinen Versammlungscharakter, sondern eine Gruppe, welche die Gewalt mit der Polizei nicht scheut. Auf Nachfrage gibt er an, den Auftrag gegeben zu haben sich der Gruppe zu nähern und im weiteren Verlauf Personen festzunehmen. Die Richterin fragt nach der Intention der Einheit im ersten Moment. Er gibt an, dass es den Aspekt der Eigensicherung gibt und dass es dann um die Festnahme von Straftätern ging. Aus den Steinwürfen haben sie einen schweren Landfriedensbruch abgeleitet.

Richterin Boddin will wissen, ob die gefundenen Gegenstände auch Personen zugeordnet werden konnten. Der Zeuge meint, das dem so gewesen sei, kann aber nicht mehr sagen welche genau. Die Gegenstände wurden für Fotos auf dem Boden ausgebreitet. Die Gegenstände seien im Nahbereich gefunden worden, den genauen Radius kann er nicht angeben.

Die Richterin geht darauf ein, dass von der anderen Seite des Rondenbarg auch Polizeikräfte kamen und fragt ob der Zeuge wusste, welche das waren. Der Zeuge sagt, dass es Wasserwerfer waren und der Bereich damit nach rückwärts abgeschlossen war. Sie seien über die Anwesenheit dieser Polizeikräfte überrascht gewesen. Die Richterin will wissen, ob sie über Funk mit anderen Einheiten verbunden waren. Ritter gibt an, dass sie keine Funkverbindung zu den anderen Kräften am Rondenbarg hatten, da sie sich nicht im gleichen Funkabschnitt wie diese befunden hatten. Ein Kontakt zur Führung der anderen Einsatzabschnitte (EA) sollte aber vorhanden gewesen sein. Die Richterin berichtet von einer erstellten Skizze zu den Funkverbindungs-Hierarchien. Er bestätigt, dass seine BFE Blumberg den Funknamen „Formel 900“ trug. Ritter sagt aus, dass er Funkkontakt zu seiner EA-Führung hatte und von dieser auch den Einsatzauftrag erhielt. Mit den Wasserwerfern auf der anderen Seite habe er nicht gerechnet. Richterin Boddin stellt fest, dass es für die Versammlungsteilnehmenden eine Einkesselung gewesen ist.

Sie fragt nach wie es mit dem Schlagstockeinsatz abgelaufen ist und dass es verletzte Versammlungsteilnehmende gab. Der Zeuge gibt an, dass Zwangsmittel immer an die Verhältnismäßigkeit gebunden sind. Der Einsatz dieser Mittel wird nicht extra angeordnet. Der Schlagstock wird nur genutzt, wenn es erforderlich ist, dies entscheiden die Kollegen selbst.

Die Richterin will wissen ob es verletzte Polizeibeamt*innen gab. Ritter kann sich an keine schwere Verletzung eines Kollegen beim Rondenbarg erinnern. Dies wäre auch erfasst worden. Richterin Boddin merkt an, dass dazu auch nichts in der Akte steht.

Die Steinwürfe waren laut Ritter 30 bis 40 Meter entfernt, sie befanden sich schon im Gefahrenbereich durch auftreffende Steine. Es sei auch ein Fahrzeug getroffen worden. Als sie im Auto saßen, gab es noch keine Steinwürfe, erst nach dem Absetzen.

Richterin Boddin will wissen, ob es eine bestimmte Formation beim Loslaufen gibt, da im Video der Befehl „10er Pfeile“ zu hören ist. Sie will wissen, was dieser Befehl bedeutet. Ritter will zu taktischen Feinheiten nicht aussagen, die Formation bedeutet nicht automatisch eine Annäherung an die Gruppe. Boddin fragt nach von wo die Steine geworfen wurden und ob vorne andere Personen waren als im hinteren Bereich bezogen auf Alter, Kleidung oder Ausrüstung. Ritter sagt aus, dass die Steine aus dem vorderen Bereich geworfen wurden. Er kann keine Differenzierung zu den Personen treffen und weiß nicht ob die Personen im hinteren Teil anders gekleidet waren.

Die Richterin geht auf die Skizze von der Örtlichkeit ein, die in mehrere Zonen unterteilt ist und fragt ob sich Rückschlüsse ziehen lassen vom Ort der Festnahme einer Person auf ihre Position im Zug. Ritter kann diese Schlussfolgerung nicht ziehen und hat die Skizze auch nicht erstellt. Es ist denkbar, dass Personen im hinteren Bereich anders gekleidet waren. Die Skizze wird in Augenschein genommen. Laut Ritter handelt es sich um die Momentaufnahme, nachdem der Zaun schon nachgegeben hatte. Richterin Boddin will wissen, ob er erkennen konnte, welchen Personen die Flucht gelungen ist und ob dies eher Personen aus dem vorderen Bereich gewesen seien. Dazu kann er nichts sagen.

Richter Werner will wissen, ob der Zeuge Informationen über angemeldete Versammlungen hatte. Dies verneint Ritter. Die Staatsanwaltschaft hat keine Fragen an den Zeugen.

Anwalt Richwin will wissen, ob eine Anmeldung für Ritter entscheidend gewesen wäre, was dieser verneint, da es ja auch spontane Versammlungen gibt.

Richwin führt aus, dass es eine Reihe von Verletzten gab und über 20 Rettungswagen anrücken mussten, die Feuerwehr hat einen Massenanfall von Verletzten gemeldet. Richwin will wissen, wann die Feuerwehr gerufen wurde. Ritter weiß nicht, ob nur sie oder auch Bürger/Bürgerinnen die Feuerwehr gerufen haben. Ein Massenanfall von Verletzten, eine MANV-Lage, löst bei der Feuerwehr einen automatischen Ablauf aus, es kommen RTW, Großraumbusse. Anwalt Richwin will wissen, ob die Polizei und die Feuerwehr parallel gearbeitet haben oder erst die Feuerwehr tätig wurde, um die Verletzten zu versorgen. Ritter sagt aus, dass schwere Verletzungen unverzüglich behandelt werden mussten und sie vor dem Abtransport in das Krankenhaus die Personalien aufgenommen haben. Schwerletzte gab es in Zone 4 beim Zaun und es gab auch Verletzte in Zone 2. Die Polizeiarbeit ist während des Einsatzes der Feuerwehr weitergelaufen.

Richwin fragt nach, ob er es richtig verstanden hat, dass Vertreter der Feuerwehr entscheiden, an welcher Stelle vorrangig Verletzte behandelt werden müssen. Ritter räumt ein, dass der einzelne Kollege die Versorgung von Verletzten nicht als Priorität sehen wird. Es sei jedoch klar, dass sie als Polizei hier keine verbrannte Erde hinterlassen wollen. Das Ziel der Maßnahme sei es nicht Verletzte zu erzielen. Richwin geht darauf ein, dass 14 Personen ins Krankenhaus gebracht wurden und will wissen, ob es in diesen Fällen Polizeibegleitung gab. Davon weiß Ritter nichts und geht eher nicht davon aus, sondern dass nur Identitätsfeststellungen vorher gemacht wurden.

Anwalt Richwin kommt auf den Punkt der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen zu sprechen und will wissen, ob dem Zeugen Verfahren bezogen auf seine Einheit bekannt sind. Ritter bestätigt, dass es im Nachgang von G20 Strafanzeigen gegen Kollegen gab, es kam aber zu keinen Verurteilungen.

Anwalt Wedel will wissen, was vor ihrem Einsatz war. Der Zeuge kann sich nicht gut erinnern, er sagt, es gab wenig Ruhezeit, kann sich aber nicht genau festlegen. Des Weiteren fragt Wedel, ob nur eine der beiden Einheiten an den Zugriffen beteiligt war. Ritter gibt an, dass die Kräfte, die vorne abgesessen sind, die Zugriffe gemacht haben, vorne war Einheit 910, hinten Einheit 930.

Wedel fragt, ob der Einsatz nachbereitet wurde, auch bezogen auf die Verhältnismäßigkeit, und ob die Schlagzeilen in der Presse ernst genommen wurden. Ritter gibt an, dass immer geschaut werden muss, was gut oder schlecht gelaufen ist, ob alle Beweise gesichert wurden und was die Kollegen und Kolleginnen fabriziert haben. Strafverfahren wurden von ihrer Seite nicht eingeleitet.

Anwalt Schrage stellt fest, dass er auf den Videoaufnahmen nicht erkennen kann, dass beim Fronttransparent ein Brett montiert gewesen sei, sondern das Transparent stattdessen stark flattert und fragt, ob dieses Brett sichergestellt wurde. Ritter sagt aus, dass er sich an das Brett erinnern kann, er weiß aber nicht, ob es sichergestellt wurde. Es werden Fotos im Gericht gezeigt auf denen kein Brett zu sehen ist.

Anwalt Richwin will wissen, ob der Zeuge danach noch bei anderen Versammlungen im Einsatz war, da es ähnliche Versammlungen am Tag gab und der Zeuge möglicherweise in vergleichbaren Situationen war. Ritter sagt aus, dass der folgende Einsatz nicht in der Nähe war, sondern vermutlich in Sankt Pauli.

Die Richterin will wissen, ob der Zeuge Starke in den nächsten Monaten noch aussagen kann. Ritter sagt, dass er aus schwerwiegenden Gründen nicht zum Prozess kommen kann, es könnte sein, dass es in zwei bis drei Monaten möglich wäre. Außerdem gibt er auf die Frage, wer die Dokumente zusammengestellt hat, an, dass Herr Kurth dafür verantwortlich war und Polizeihauptkommissarin Geissler dabei involviert war.

Es wird ein Video von den Geschehnissen am Morgen gezeigt. Das Video zeigt den Einsatz der Blumberg-Einheit. Die Spitze der Demonstration ist zu sehen, Polizist*innen laufen auf die Demonstration zu. Der Befehl „10er Pfeile“ ist zu hören. Laut Ritter kommt der Befehl entweder von Starke oder von dem anderen Einheitsführer. Bei der Video-Uhrzeit 06:32:30 ist die Aussage: „Die haben sie ja schön platt gemacht“ zu hören. Wer diese Aussagen gemacht hat, kann Ritter nicht sagen. Im Video ist die Durchsage zu hören, dass alles was dort rumliegt – Vermummung, Steine – eingesammelt werden soll, zur Rechtfertigung der Maßnahme. Diese Aussage ist laut Ritter von ihm.

Anwalt Schrage will wissen, ob ein Massenanfall von Verletzten nicht eine außergewöhnliche Situation sei und ob er den Eindruck hatte, dass ihnen die Sache aus dem Ruder gelaufen ist. Ritter verneint dies, Verletzte seien nicht ihr Ziel gewesen, es habe sich bei dem Nachgeben des Zauns um einen Unglückfall gehandelt.

Der Zeuge wird entlassen.

Die Richterin fragt die Verteidigung, ob die Informationen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der beiden Angeklagten vorliegen und ob sie dazu Aussagen machen werden. Anwältin Rohrlack erwidert für den Angeklagten N., dass es bisher keine Angaben gibt und sie sich nochmal melden werden. Anwalt Wedel sagt, dass seine Mandantin keine Angaben machen wird. Die Richterin erwidert, dass sie sich entsprechend überlegen werden, wie sie damit umgehen.

Für den 13. Juni ist bisher die Zeugin Julia K. geladen. Die Richterin bittet um Nachricht, falls sie nicht aussagen wird. Die Hauptverhandlung wird um 11:05 Uhr unterbrochen. Nächster Termin ist der 13. Juni 2024.