Prozessbericht 15 vom 30.05.2024

Der Prozess beginnt um 9:50 Uhr im Sitzungssaal 288 des Landgerichts Hamburg. Die umfassenden Einlasskontrollen werden nach wie vor aufrechterhalten. Neben den beiden Angeklagten und ihren Anwält*innen Schrage, Rohrlack, Wedel und Richwin sind 17 Prozessbeobachter*innen anwesend, darunter auch Journalist*innen. Anwesend sind auch die Richter*innen Boddin, Pohle und Werner sowie der Staatsanwalt Helfen und die drei Schöff*innen.

Geplant für den Tag sind die Befragungen von drei Zeugen. Den Anfang macht der 66-jährige Hartmut Licht, „Leitender Regierungsdirektor und Abteilungsleiter Auswertung des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg“. Danach folgt der Polizeibeamte Anochin der BFE Blumberg und der Fahrzeugwart Petereit, ebenfalls BFE Blumberg.

Licht beginnt seine Aussage mit der Darlegung seiner Aussagegenehmigung, auf die er sich später noch häufiger berufen wird. Es folgt ein vorbereiteter Vortrag. 2017 war Licht bereits Abteilungsleiter des Landesamtes. Anlässlich des G20 erhielt er als Leiter des LoS (Lageorientierte Sondereinheit) weitergehende Befugnisse. Verantwortlich für die zentrale Organisation der Gipfelproteste seien der Rote Aufbau Hamburg und seine Kader. Der Rote Aufbau sehe Gewalt als legitimes politisches Mittel und er sei verantwortlich für die Gewalt auf Demos wie am 1. Mai, der zumindest bis 2018 äußerst gewaltvoll abgelaufen sei.

Dann thematisiert er die verschiedenen Bündnisse, die zu G20 mobilisiert haben. Insbesondere die Konstellationen der überregionalen Bündnisse „NoG20“ und „Fight G20“, des eher lokalen Bündnisses „G20 entern“ und des antiimperialistischen Bündnis gegen G20 stellt er dar. Ziel sei die Störung beziehungsweise Verhinderung des Gipfels gewesen. Die Antikapitalistische Aktion Bonn (AKAB), der einer der beiden Angeklagten zugeordnet wird, sei Teil von „Fight G20“ gewesen. Diesem gehörte auch der Rote Aufbau an. Licht spricht insgesamt länger über die verschiedenen am Protest beteiligten linken Organisationen, deren Haltung zur Zusammenarbeit mit eher bürgerlich-liberalen Gruppen und deren Verhältnis zu Militanz, wobei er Militanz als Gewaltbereitschaft definiert.

Anschließend widmet Licht sich der Camp AG. Diese habe bestanden aus „linksextremen“ Organisierungen wie Linksjugend solid, Kuhle Wampe, Interventionistische Linke, Roter Aufbau Hamburg und „nicht extremen“ Akteur*innen wie Attac und Falken. Die Bedeutung der Camps sieht er in ihrer Funktion als Planungs-, Vernetzung- und Organisationsort für das Protestgeschehen und als wichtige Stütze für internationale Anreisen.

Licht erklärt dann, dass die Camps in Barrios unterteilt wurden und verschiedene Organisationen je eigene Barrios hatten. Er gibt an, dass 1000 bis 1300 Menschen auf dem Camp übernachtet haben. In der Spitze 2000 Personen. In weiten Teilen befanden sich dort „Linksextremisten“.

Licht wirkt selbstzufrieden, wenn er darstellt, was seine „menschlichen Quellen“ – auf Nachfrage nennt er diese „Vertrauenspersonen“ – auf dem Camp gesehen haben wollen. Die Rede ist etwa von Stahlseilen und Wurfankern gegen Absperrungen.

Die Informationen zu den Startzeiten und Zielen der verschiedenen Finger will er gegen 23 Uhr des 06.07.2017 erhalten haben. Zur konkreten Planung habe der Verfassungsschutz aber keine direkten Informationen.

Er ist sich zudem sicher, dass der Schwarze Finger Sammelpunkt des militantesten Teils der Szene gewesen sei, dies könne man auf dem Camp spüren, greifen und es läge in der Luft, ohnehin sei eine schwarze Bekleidung als Farbe in der Szene direkt mit Militanz assoziiert. Er gibt an, dass der Rote Aufbau Hamburg und die Antikapitalistische Aktion Bonn (AKAB) bereits ein paar Jahre vor dem G20 in Kontakt standen und AKAB vom Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen als linksextremistisch und gewaltorientiert eingeordnet wurde. Wie das heute ist, wisse er nicht.

Licht äußert sich dann auf Nachfrage noch zu seinem Linksextremismusbegriff – worunter er versteht, die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ durch ein anderes System für eine bessere Welt ersetzen zu wollen. Das Grundübel sehe man in der Wirtschaftsordnung, im Kapitalismus. Er versucht verschiedene Strömungen einzuordnen. Das anarchistische Spektrum kämpfe für eine klassenlose Gesellschaft ohne jegliche Struktur, Autonome wissen es selbst nicht genau und „Antiimperialisten“ wollen eine kommunistische Weltordnung.

Damit konfrontiert, dass Protestforscher Haunss zwischen Schwarzem Finger und Schwarzem Block differenziert habe und warum er dies nicht tue, meint Licht, seine Wahrnehmung sei, dass der Schwarze Finger und der Schwarze Block Synonyme sind und sie massiv die Konfrontation suchen. Es sei in der Szene allgemein bekannt, dass dieser kompromisslos sei. Die ideologische Einordnung des Schwarzen Fingers durch Haunns – autonom, anarchistisch – bewerte er als begriffliche Unschärfe. Ideologische Unterschiede würden aber bei Militanz keine Rolle spielen. Schwarz würden sowohl „Autonome“, „Antiimperialisten“ als auch „Anarchisten“ tragen. Alle Gruppierungen, die mit dem Roten Aufbau im Bündnis Fight G20 waren, würden als gewaltorientiert gelten.

Auf anwaltliche Nachfrage bestätigt Licht dann noch einmal, dass auf dem Camp, nicht jedoch in den Demonstrationen, Vertrauenspersonen eingesetzt waren. Präziser als „mehr als zwei“ wird Licht jedoch unter Verweis auf den Umfang seiner Aussagegenehmigung nicht. Ihnen sei es untersagt gewesen sich „im staatlichem Auftrage“ an Aktionen zu beteiligen. Vertrauenspersonen seien diesbezüglich im Vorhinein noch mal belehrt worden. Zugriff auf die Informationen, ob und wie viele Mitarbeiter*innen oder Vertrauenspersonen andere Landesämter oder das Bundesamt in den Fingern einsetzen, habe er nicht.

Gefragt zur Militanz der Interventionistischen Linken gibt Licht an, dass die Sprecherin Emily Laquer gesagt habe, dass Widerstand bunt ist und schwarz auch eine Farbe sei. Die Interventionistische Linken sei gewaltorientiert gehe aber der Konfrontation aus dem Weg. Ob Menschen der Interventionistischen Linken im Finger mitgelaufen seien und diesen mit organisiert haben, wisse er nicht. Dass Menschen mit schwarzer Kleidung, die eigentlich nur eine Blockade machen wollten, sich in den Schwarzen Finger verirrten, schließe er aus.

Licht wird durch einen Schöffen gefragt, ob die schwarzgekleidete Demonstration organisierter Teil des Fingerkonzepts gewesen sei. Laut Licht sei eine organisatorische Trennung beziehungsweise Isoliertheit des Schwarzen Fingers von den anderen Fingern absolut auszuschließen, da es zwischen den Gruppierungen laufende Absprachen und Abstimmung gebe. Er vermute etwa die Strategie, durch die militanteren Finger Polizeikräfte zu binden, um weniger militanten Aktivist*innen ihre Aktionen zu ermöglichen.

Daraufhin wird Licht unvereidigt entlassen und der Prozesstag für die Mittagspause unterbrochen von 11:40 Uhr bis 13 Uhr.

Es folgt die Befragung des Zeugen Anochin. Er ist 37 Jahre alt und Polizist in der Beweissicherungs- und Festnahmehundertschaft Blumberg. Die Richterin sagt, dass es im Rondenbarg durch die BFE Blumberg zu Körperverletzungen im Amt gekommen sei und er sich nicht selbst belasten muss. Er gibt an, dass seine Einheit sich in Bereitschaft befunden hatte als es einen Funkspruch gab und sich die BFE Blumberg in Bewegung gesetzt hat. Sie seien zwei Einheiten mit jeweils 50 Polizeikräften gewesen. Er gehörte zur zweiten Einheit. Vom Polizeiauto bis zum Ort des Geschehens seien es etwa 100 Meter gewesen. Als er ankam sei die „Lage“ schon komplett ruhig gewesen. Mehrere Leute waren bereits zu Boden gebracht gewesen, der Zaun war bereits rausgebrochen und der Wasserwerfer hatte schon geschossen. Er befand sich am Zaunbereich. Dort habe eine Person mit einer Sprühdose seinen Helm besprüht. Die Farbe konnte er noch vor Ort mit Desinfektionsmittel wieder entfernen. Er habe den Helm weiter verwendet. Er musste nicht ersetzt werden. Später war er mit der Personalienaufnahme der Festgenommenen beschäftigt.

Einen Bewurf habe er selber nicht mitbekommen. Über den Einsatz am Rondenbarg habe er später mehrfach in den Medien zum Beispiel bei Spiegel TV mitbekommen. Als er aus dem Einsatzfahrzeug gestiegen ist, gab es den Befehl „Zweierreihe“ oder „Pfeile“. Die meisten Festgenommenen waren schwarz gekleidet und hatten schwarze Schuhe an. Personen sind über den Zaun gestiegen. Er habe versucht eine Person von diesem runterzuziehen und habe dann einen Tritt vor den Helm bekommen. „Und dann kam schon die Farbe“ in einem Schwall von einer Person, die vor ihm stand. Die Richterin fragt nach, wie es möglich ist, auf Kopfhöhe zu treten. Es bleibt unklar. Eine Anzeige habe er aber nicht gestellt. Später waren sie am Schulterblatt und „da flog alle fünf Sekunden etwas auf den Helm“.

Danach gefragt, was dieser Einsatz am Rondenbarg mit ihm gemacht habe, versteht er erst die Frage nicht und sagt dann: „Ich hatte danach keine posttraumatische Belastung und musste nicht zum Affenarzt oder so.“ Für ihn war es „ein ganz normaler Einsatz“. Der Befehl war, alle festzuhalten, auf den Boden zu bringen und anschließend alles entsprechen zu bearbeiten. Die Festgenommenen haben sich nicht wirklich gewehrt. Es seien auch keine 120-Kilogramm-Personen vor Ort gewesen. „Waren im Wesentlichen alles Jugendliche“. „15-Jährige Mädchen haben später gesungen“. Den Schlagstock habe er stecken lassen, er habe ihn noch nie in seinem Leben benutzt. Ein Foto mit einem Helm mit schwarzen Farbspritzer auf dem Visier wird gezeigt.

Die Staatanwaltschaft fragt, was Pfeile beziehungsweise „10er Pfeile“ bedeute. Dieser Befehl ist auf dem Video kurz vor dem Angriff zu hören. „Pfeile“ bedeute sich nebeneinander aufzustellen. In der Mitte läuft die Einsatzführung. „10er“ beziehe sich auf die Einheit. Auf Nachfrage der Verteidigung gibt er an, dass ihr Dienst am Donnerstag den 06.07.2017 um 21 Uhr losging und er bei der „Welcome to Hell“-Demonstration eine Festnahme gemacht hatte und einen Bericht schreiben musste. Zwischen dem 06. und 07.07. hatten er „zwei Stunden Schlaf und mussten dann wieder raus“. Der Rondenbarg-Einsatz habe vier bis fünf Stunden gedauert. In Hamburg seien sie 14 Tage eingesetzt gewesen, wobei nur vier Tage „Halligalli“ war. Auf Anwalt Richwins Nachfrage erklärt Zeuge Anochin, dass er gegen Kollegen, die in Hamburg angezeigt worden waren, keine Aussagen gemacht habe.

Der Zeuge wird unvereidigt entlassen.

Anwalt Schrage verliest eine Erklärung. Zeuge Bruse, Funker der BFE Schleswig-Holstein aus Eutin, welcher am 14. Prozesstag als Zeuge vernommen wurde, hatte angegeben, dass sie noch 150 Meter vom Schwarzen Finger entfernt waren als dieser in den Rondenbarg einbog. Bruse gab an, keinen Bewurf wahrgenommen zu haben. Er hätte keine Gegenstände wahrnehmen können, die auf der Straße lagen an der Schnackenburgallee Ecke Rondenbarg. Rauch habe der Zeuge auch nicht wahrgenommen. Daher sei belegt, dass es keinen Bewurf auf die BFE aus Eutin gegeben habe und der Eutiner Zugführer Jokschat einem Irrtum unterliege, wenn er von einem „kurzen und heftigen Bewurf“ auf seine Einheit berichtete.

Auf Anregung der Verteidigung wird das Video, welches vom Wasserwerfer von der Kamera auf der rechten Seite aufgenommen wurde, gezeigt.

Anwältin Rohrlack verliest eine Erklärung zur Vernehmung des Zeugen Bruse vom 16. Mai 2024. Der Zeuge hatte ausgesagt, dass er sich mit den Zeugen Jokschat und Janzer in dem ersten Polizeifahrzeug befand, welches die Kreuzung Schnackenburgallee/Rondenbarg erreichte. Er habe einen Bewurf mit Steinen oder anderen Gegenständen zwar nicht wahrnehmen können, ein solcher Bewurf wäre aber im Fahrzeug kommuniziert und aufgezeichnet worden. Wenn ein Bewurf stattfände, würde dies laut ins Fahrzeug gerufen. Die Aussagen des Zeugen Bruse stehen der Aussage des Zeugen Jokschat entgegen, der an der Ecke Schnackenburgallee/Rondenbarg einen heftigen Bewurf mit Steinen, Pyrotechnik und Rauchkörpern auf sein Fahrzeug beobachtet haben will.

Im Gegensatz zu den Bekundungen des Zeugen Jokschat lässt sich die Aussage des Zeugen Bruse mit sämtlichen weiteren Beweismitteln in Einklang bringen. Weder der Zeuge Bruse noch der Zeuge Janzer haben eine Meldung im Fahrzeug mit dem Inhalt „Bewurf“ vernehmen können. Eine Meldung über einen Bewurf wurde in den Einsatz-Protokollen nicht dokumentiert. Die Aussage des Zeugen Bruse wird zudem durch die Aussage des Zeugen Janzer gestützt. Dieser schilderte als Fahrer des Führungsfahrzeuges, dass er einen Bewurf durch Gegenstände auf sein Fahrzeug an der Ecke Schnackenburgallee/Rondenbarg nicht wahrgenommen hat und dass sein Fahrzeug zuerst in den Rondenbarg eingebogen sei.

Anwältin Rohrlack stellt abschließend fest, dass im Ergebnis die Behauptung des Zeugen Jokschat, es habe an der Ecke Schnackenburgallee/Rondenbarg einen heftigen Bewurf mit Steinen und anderen Gegenständen auf sein Fahrzeug gegeben, durch die Aussagen des Zeugen Bruse und Janzer widerlegt sind.

Daran anschließden wird der Zeuge Petereit vernommen. Er ist 55 Jahre alt und Fahrzeugwart in der Beweissicherungs- und Festnahmehundertschaft Blumberg. Er fuhr das Führungsfahrzeug, in dem auch der Einsatzhundertschaftsführer Ritter als Beifahrer mitfuhr. Er sah eine Personengruppe, die fast komplett schwarz gekleidet und teilweise vermummt gewesen sei. Ritter hätte die Einheit zum Absitzen aufgefordert. Danach soll das Fahrzeug von drei Steinen getroffen worden sein: zwei Steine haben vorne die Motorhaube getroffen und ein Stein habe das Dach getroffen. Die Treffer konnte er dem Geräusch nach vernehmen. Das Fahrzeug war 14 Jahre alt. Es stand kurz vor der Ausmusterung. Es war schon lädiert. Auf dem Dach habe er später eine Delle wahrnehmen können. Ob diese von dem Bewurf stammt könne er mit Sicherheit nicht sagen. Am Automarken-Logo sei ein Kratzer zu erkennen gewesen. Für ihn ist es wahrscheinlich, dass dieser Kratzer zuvor noch nicht da gewesen sei. Mit Sicherheit könne er aber auch das nicht sagen. Andere „Treffer“ konnte er durch die vielen Alt-Schäden nicht zuordnen. Es hörte sich so an als ob Metall auf Metall schlägt. Was da auf sein Auto flog, habe er nicht gesehen. Direkt vor seinem Auto habe er keine Steine liegen sehen. Aufgrund der kurz bevorstehenden Ausmusterung wurden keine Schönheitsreparaturen mehr am Fahrzeug vorgenommen.

Es werden Bilder aus der Akte von Schäden an der Frontscheibe und der Seitenscheibe rechts gezeigt. Er gibt an, dass diese „definitiv nicht vom Einsatz am Rondenbarg stammen“. Diese seien später am selben Tag an einem anderen Einsatzort in St. Pauli entstanden.

Seine Einheit soll durch einen Funkspruch geschickt worden sein. Darin soll es geheißen haben, dass eine Personengruppe Sachbeschädigung und Landfriedensbruch begangen haben soll. Sie hätten nicht den Auftrag bekommen direkt in den Rondenbarg zu fahren. Den Befehl habe er aber selber nicht gehört.

Der Zeuge wird unvereidigt entlassen.

Anwältin Rohrlack stellt einen Beweisantrag. Sie beantragt die Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens, mit dem Ziel, aufzuzeigen, dass das von den zivilen Zeug*innen Andreas L., Daniel D., Ralf B., Glenn K. und Marion N. geäußerte Angstempfinden in Bezug auf die Demonstration, die am Morgen des 07.07.2017 in der Schnackenburgallee gelaufen ist, nicht auf selbst erlebten Vorgängen, sondern auf von den Zeug*innen konsumierten Medienberichten rund um den G20-Gipfel beruht. Als Sachverständige soll die Psychologin Prof. Dr. Luise Greuel von der Hochschule für öffentliche Verwaltung Bremen geladen werden, zum Schwerpunkt „Glaubhaftigkeitsbegutachtung“. Die Psychologin soll unter anderem vermitteln, dass Erinnerungen beeinflusst und verfälscht werden können. Durch etliche Einflüsse können sie im Nachhinein so verändert werden, dass das tatsächlich Erlebte nicht mehr erinnert oder aber nicht Erlebtes falsch erinnert wird. Gleiches kann bei Emotionen der Fall sein, die wie Erinnerungen sehr leicht beeinflusst und im Ergebnis verfälscht werden können. Ein zeitlich eng mit dem Erlebten verknüpfter Konsum von Medien, insbesondere Bildern, kann zu einer Verfälschung der Emotion führen. So ist es möglich, dass nach dem Erleben einer Situation durch Berichterstattung und Erinnerungsbeeinflussung Angst empfunden wird, obwohl diese Angst während des Erlebens der Situation tatsächlich nicht aufgetreten ist.

Der Schwerpunkt von Prof. Dr. Luise Greuel liegt seit Jahrzehnten im Bereich Aussage- und Rechtspsychologie und sie ist seit Jahrzehnten als forensisch-psychologische Sachverständige mit dem Schwerpunkt „Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen“ tätig. Als Begründung für den Beweisantrag führt Anwältin Rohrlack aus, dass die geschilderte Angst der Zeug*innen, als sie am Morgen des 07.07.2017 den Schwarzen Finger in der Schnackenburgallee wahrnahmen, nicht ohne Weiteres auf das von den Zeug*innen Erlebte zurückgeführt werden kann, sondern sich die geschilderte Angst erst durch die konsumierte Berichterstattung um die Ausschreitungen um den G20-Gipfel entwickelt haben kann. Dazu gibt sie Beispiele aus den Aussagen der genannten Zeug*innen, in denen diese ihren Medienkonsum zu den Protesten zum G20-Gipfel thematisieren. Rohrlack führt aus, dass das Gericht in seinem Vermerk vom 20.03.2024 mitgeteilt hat, dass die Frage, ob die Menschenmenge, die am Morgen des 07.07.2017 in der Schnackenburgallee demonstriert hat, auf die umliegenden Personen bedrohlich gewirkt hat, erheblich für die richterliche Entscheidung sei. Vor dem Hintergrund, dass es wahrscheinlich ist, dass die von den Zeug*innen geschilderte Angst erst durch die konsumierte Berichterstattung erzeugt, zumindest aber maßgeblich beeinflusst worden ist, wird das Gericht zu der Erkenntnis gelangen, dass den Aussagen insoweit kein Beweiswert zukommt.

Die Richterin teilt mit, dass der durch sie geladene Zeuge, welcher beim Prozess gegen Fabio V. ausgesagt hatte und selber im Rondenbarg festgenommen worden sei und nun selber angeklagt ist, die Aussage verweigere und abgeladen wird. Die Richterin gehe davon aus, dass dies auch die zweite geladene Zeugin, die ebenfalls angeklagt ist, machen werde. Daher wird wahrscheinlich die Verhandlung am Freitag den 14.06.2024 ausfallen und nur die am Donnerstag den 13.06.2024 stattfinden. Des Weiteren teilt die Richterin mit, dass sie Andy Grote nicht laden will und den Antrag der Verteidigung dies zu tun für erledigt hält.

Die Richterin will, dass die Angeklagten etwas zu ihrem Einkommen sagen, sodass gegebenenfalls Tagessätze ermittelt werden können. Sie wolle der Schuldfrage nicht vorgreifen, könne aber auch nicht bis zum Urteil damit warten. Sie droht damit, bei den Arbeitgeber*innen nachzuforschen, falls keine Angaben gemacht werden.

Die Verhandlung wird für diesen Tag gegen 15:15 Uhr unterbrochen.