Hintergrund

Hintergrundinformationen zum Rondenbarg-Verfahren

2017 hat der jährliche G20-Gipfel, bei dem sich die Staats- und Regierungschef*innen der zwanzig mächtigsten Staaten der Welt treffen, in Hamburg stattgefunden. Sie sichern dabei ihre wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen ab. Hierzu zählt unter anderem die Sicherung von Absatzmärkten für ausländisches Kapital, wie zum Beispiel durch Knebelverträge mit Staaten in Afrika. Zehntausende sind nach Hamburg gekommen, um gegen ihre kapitalistischen Aushandlungen und für eine gerechtere Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung auf die Straße zu gehen. Bereits im Vorfeld des G20 gab es Einschränkungen der Versammlungsfreiheit durch Demonstrationsverbote auf einem Gebiet von über 30 Quadratkilometern in der Hamburger Innenstadt und dem Verbot von Camps für Gipfelgegner*innen. Die „Welcome to Hell“-Demo am 6. Juli wurde von der Polizei brutal zerschlagen. Der erste Tag des Gipfels war der 7. Juli. Tausende Aktivist*innen waren ab dem frühen Morgen unterwegs, um zu demonstrieren und um Zufahrtswege der Gipfelteilnehmer*innen zu blockieren. Vom Protestcamp in Altona machten sich verschiedene Demozüge auf den Weg. Eine Gruppe von etwa 200 Menschen traf auf dem Weg in die Innenstadt auf mehrere Polizeieinheiten, die den Demonstrationszug in der Straße Rondenbarg in Hamburg-Bahrenfeld brutal von vorne und hinten angriff und innerhalb kürzester Zeit zerschlug.

Die Geschehnisse am Rondenbarg sind durch massive Polizeigewalt gekennzeichnet. Die Polizei rannte unmittelbar, ohne vorherige Durchsagen, mit lautem Gebrüll auf die Demonstration zu. Demonstrant*innen wurden gewaltvoll zu Boden gebracht, geschlagen und beleidigt. Es kam zu zahlreichen Verletzungen von Platzwunden und Prellungen bis hin zu angestauchten Halswirbeln und offenen Knochenbrüchen. Die Hamburger Feuerwehr sprach von einem Massenanfall von Verletzten und war mit 65 Einsatzkräften und 12 Rettungswagen sowie 5 Notarzteinsatzfahrzeugen vor Ort.[1] Zu besonders schweren Verletzungen kam es unter anderem auch durch ein wegbrechendes Geländer, als Demonstrierende darüber fliehen wollten und von der Polizei dagegen gedrängt wurden. Als es brach stürzten einige Aktivist*innen drei bis vier Meter in die Tiefe. Über den Polizeifunk wurde das Geschehen folgendermaßen kommentiert: „Die haben sie ja schön platt gemacht, alter Schwede“.[2] Mit dabei am Rondenbarg war neben einer Hundertschaft mit zwei Wasserwerfern auch die für Gewalttaten berüchtigte Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) »Blumberg« der Bundespolizei sowie die bayerische Spezialeinheit Unterstützungskommando (USK).

Insgesamt wurden am Rondenbarg die Personalien von 73 Menschen durch die Polizei aufgenommen. Davon wurden 59 Personen vorläufig festgenommen und in die Gefangenensammelstelle (GeSa) gebracht. 14 Menschen waren so schwer verletzt, dass sie mit Rettungswagen in Krankenhäuser gebracht werden mussten und zum Teil bleibende Schäden davongetragen haben. Die Festgenommen blieben teilweise mehr als 24 Stunden in den ständig beleuchteten, engen und stickigen Zellen der GeSa und wurden danach zum Teil mehrfach, auch nachts, in verschiedene Justizvollzugsanstalten verlegt, nachdem sie von extra für den G20-Gipfel eingerichteten „Schnellgerichten“ verurteilt wurden. Von den 59 Personen wurden 42 zu längerer Gewahrsamnahme verurteilt und wurden erst nach dem Ende des Gipfels am Sonntag freigelassen. Bei 12 Menschen wurde ein Haftbefehl erlassen und sie mussten noch Wochen bis hin zu Monaten in Untersuchungshaft bleiben.[3]

Fabio aus Italien saß nach seiner Festnahme am Rondenbarg fast fünf Monate in Untersuchungshaft in Hamburg. Sein Prozess platzte im Februar 2018, weil die Richterin in Mutterschutz ging. Bei Fabios Verfahren kam der unbedingte Verfolgungswille der Justiz nicht nur in der Dauer der Untersuchungshaft zum Ausdruck, sondern auch in den Äußerungen des Oberlandesrichters Tully während der Haftprüfung. Ohne Fabio auch nur gesehen zu haben oder gar ein Gutachten vorliegen zu haben, unterstellte Richter Tully dem Neunzehnjährigen „schädliche Neigungen“ und „erhebliche Anlage- und Erziehungsmängel“. Der Begriff der „schädlichen Neigungen“ ist 1941 von den Nazis in das deutsche Jugendstrafrecht eingeführt worden und wurde bei der Neufassung des Gesetzes im Jahr 1953 beibehalten.

Im Rahmen der Öffentlichkeitsfahndung der SOKO Schwarzer Block wurde im Nachgang nach weiteren Aktivist*innen mit Fotoaufnahmen gefahndet. Außerdem wurden dutzende Hausdurchsuchungen durchgeführt. Beim Landgericht liegen bisher Anklagen gegen insgesamt 73 Beschuldigte in acht Verfahrensgruppen vor.[4] Anklageschriften wurden aber an 86 Personen verschickt.

Darunter sind auch drei Menschen aus der Schweiz, die in Zürich wegen des Rondenbarg-Verfahrens vor Gericht mussten. Ihr Prozess wurde zunächst aufgrund von Corona verschoben und fand dann am 16. April 2021 am Bezirksgericht Zürich statt. Bei diesem Prozess wurde das Urteil durch den Richter bereits im Vorfeld getroffen. In den Akten, die den Beschuldigten vor dem Prozess zur Einsicht vorlagen, befand sich unter anderem ein Dokument mit einem bereits fertig formulierten Urteilsspruch inklusive Urteilsbegründung durch den Richter Vogel, datiert im Herbst 2020. Die Beschuldigten haben den Gerichtssaal während der Verhandlung unter Protest verlassen, um gegen diese Farce zu protestieren. Das Urteil folgte am 21. April 2021 schriftlich: Zwei Genoss*innen wurden schuldig gesprochen, ein Genosse nicht. Die zwei verurteilten Genoss*innen wurden wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte sowie wegen Landfriedensbruch mit Geldstrafen bestraft. [5]

Am 3. Dezember 2020 hatte vor dem Landgericht Hamburg bei der Großen Jugendstrafkammer 27 die Hauptverhandlung gegen die fünf jüngsten Angeklagten begonnen, welche im Juli 2017 noch minderjährig waren. Die fünf Angeklagten wurden, wie auch die anderen Beschuldigten, von der Hamburger Staatsanwaltschaft „des schweren Landfriedensbruchs in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte im besonders schweren Fall sowie mit versuchter gefährlicher Körperverletzung, Bildung bewaffneter Gruppen und Sachbeschädigung angeklagt“. Der Prozess sollte unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Der leitende Richter Halbach ist bekannt für harte Urteile gegen Hausbesetzer*innen und milde Bewährungsstrafen gegen Gruppenvergewaltiger. Es fanden allerdings nur die ersten beiden Gerichtstermine am 3. und 9. Dezember 2020 statt. [6] Am 27. Januar 2021 wurde der Prozess aufgrund der Corona-Pandemie abgebrochen.[7]

Ein neuer Anlauf des Gerichts im Rondenbarg-Verfahren findet im Januar 2024 statt. Der Prozess gegen sechs Beschuldigte wird am 18. Januar 2024 in Hamburg beginnen. Es sind bisher 25 Gerichtstermine festgesetzt worden.

Die Staatsanwaltschaft wirft den Beschuldigten keine eigenständigen Handlungen vor. Mithilfe des Konstrukts der „gemeinschaftlichen Tat“ wird eine Verurteilung ohne konkret individuellen Strafnachweis anvisiert. Es soll die bloße Anwesenheit auf einer Demonstration für solch eine Verurteilung ausreichen. Damit sollen Menschen kriminalisiert werden, die sich an einer Demonstration beteiligt haben. Falls das Gericht den Forderungen der Staatsanwaltschaft folgt und die Betroffenen der Rondenbarg-Verfahren mit Hilfe des Landfriedensbruch-Paragrafen verurteilt, wird die Versammlungsfreiheit und damit das wichtigste Mittel zur politischen Auseinandersetzung im öffentlichen Raum massiv eingeschränkt.

Die Staatsanwaltschaft will die Reform des Landfriedensbruch-Paragrafen 125 aus dem Jahr 1970 wieder umkehren. Vor 1970 war die bloße Anwesenheit in einer „unfriedlichen Versammlung“ strafbar.[8] Heute wird zum Teil die so genannte „psychische Beihilfe“ herangezogen, um Menschen als „Mittäter*in“ zu verurteilen. Diese staatsanwaltliche Konstruktion kam beispielsweise beim G20-Elbchausee-Prozess zur Anwendung – obwohl der Bundesgerichtshof (BGH) in der Vergangenheit mehrfach darauf hinwies, dass die bloße Anwesenheit in einer „gewalttätigen Menge“ für eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs nicht ausreicht, da sonst die Reform des Landfriedensbruch-Paragrafen von 1970 unterlaufen werden würde. 2017 entschied der BGH, jedoch, dass das „ostentative“ Mitmarschieren als Landfriedensbruch bestraft werden könne. Dieses Urteil sollte laut BGH aber auf Hooligan-Gruppen und nicht auf Demonstrationen angewendet werden.[9]

Die Kampagne „Gemeinschaftlicher Widerstand“ wurde bereits Ende 2019 ins Leben gerufen. Unser Schwerpunkt ist die politische Unterstützung der Angeklagten im so genannten G20-Rondenbarg-Verfahren. Bundesweit sind daran Menschen beteiligt, die im Rahmen der Kampagne Kundgebungen, Demonstrationen, Veranstaltungen und andere Soli-Aktionen machen. Der Soli-Aufruf der Kampagne wurde von mehr als 100 Gruppen und Initiativen unterzeichnet. Wir unterstützen die Betroffenen durch Öffentlichkeitsarbeit, Vernetzung und Protestaktionen. Unsere Solidarität gilt allen linken, antifaschistischen und emanzipatorischen Menschen, die von staatlicher Repression betroffen sind.

Für die Einstellung der Verfahren und die Freilassung der Gefangenen!


Fußnoten

  1. Pressemitteilung der Feuerwehr Hamburg vom 07.07.2017
  2. ARD Nachtmagazin vom 10.08.2017
  3. Antwort vom Senat auf Kleine Anfrage der Linken zu freiheitsentziehenden Maßnahmen beim G20-Gipfel vom 12.06.2018
  4. Pressemitteilung des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 27.11.2020
  5. Mitteilung zur Urteilsverkündung der Rote Hilfe Schweiz vom 22.04.2021
  6. Rondenbarg-Prozessberichte auf dem Rondenbarg-Blog der Roten Hilfe und bei United we Stand
  7. Mitteilung zum Prozessabbruch auf dem Rondenbarg-Blog der Roten Hilfe
  8. Artikel bei CILIP zur Geschichte des Demonstrationsrechts vom 07.08.2002
  9. Urteil vom Bundesgerichtshof (BGH) vom 24.05.2017